Understatement oder Rohdiamant? Trail-Check in Tschechien

Tschechische Republik: Vom "chronischen" Underdog zur ernstzunehmenden MTB-Destination? Daniel war für Euch unterwegs und hat die dortigen Trails mal unter die Lupe genommen...also: Czech it out! ;)

Sind wir mal ehrlich: Tschechien ist nicht unbedingt unser erster Gedanke, wenn es ums Biken geht, oder? Doch warum eigentlich? Es ist an der Zeit, dass unser Nachbar mehr Aufmerksamkeit erfährt und wir der Sache auf den Grund gehen. Den es müssen nicht immer die bekannten Gebiete sein, um unser Hobby auszuleben. 

Also: Sachen packen, das Land kennenlernen und die dortigen Trails checken. Wir nahmen gerne die Expertise der lokalen Guides an, die uns diesen mehrtätigen Trip organisierten und guideten. Die sympathische Crew von czechmtbholidays.com zeigte uns ihre Heimat – vom Trailgeballer über die lokalen Spezialitäten bis hin zum weltbekannten Bier. Let´s go!

Die Reise über die Grenze fand am Anfang der neuen Saison statt. Sie fand auch am gleichen Wochenende wie der Formel 1 Grand Prix in Monaco statt. Warum der Vergleich? Weil Tschechien auf den ersten Blick genau das Gegenteil vom Bling Bling Monacos ist. Ein eher unglamouröses Land mit kommunistischer Vergangenheit und immer noch andauernden Infrastruktur-Problemen. An manchen Orten wurden diese seit dem Fall des Eisernen Vorhangs scheinbar eher schleppend in Angriff genommen – wenn überhaupt. Allerdings ist auch vieles Schnee von gestern, denn insgesamt hat sich die Lage stetig verbessert. Unser Lieblingssport ist am Aufschwung teilweise mitbeteiligt, denn: Es sprießen gerade Trailcenter wie Pilze aus dem Boden und geben den Menschen Arbeit und bessere Lebensbedingungen. Doch dazu später mehr…

1. TAG. UCI MTB WORLD CUP: NOVÈ MESTO

In Tschechien angekommen, trudelten sie langsam ein, die zehn Pressevertreter. Es war ein zusammengewürfelter Haufen aus vielen Ecken Europas. Wir alle arbeiten für verschiedenste Medien und waren hier, um den fünftägigen Trip zu covern und Tschechien wieder ein wenig auf die Bike-Karte zu packen. So schrieb beispielsweise einer der Journalisten für den Reiseteil einer Tageszeitung, ohne dass er viel eigene MTB-Erfahrung vorweisen konnte. Der andere Medienprofi war ein alter DH-Haudegen mit massig Rennerfahrung. Auch erwähnenswert sind die beiden eher Rennrad-begeisterten Italiener mit ihrer ansteckend guten Laune und der drahtige, reservierte Schwede mit Uphill-Qualitäten, den wir gen Ende des Trips nur „Die Wade“ nannten.

Wir trafen uns also in Nové Mesto mit dem Organisator des Trips sowie des UCI Rennens. Jan Marcanic ist gleichzeitig Chef-Guide von czechmtbholidays.com und würde uns die nächsten Tage begleiten. Er hatte also viel um die Ohren. Deshalb war es fast umso verwunderlicher, wie es dieser „down to earth dude“ schaffte, alles unter einen Hut zu bringen: „Meine Frau hat auch gerade ein Kind bekommen“, sagte er stolz. Für jemanden mit so viel Verantwortung machte er wirklich einen sehr entspannten Eindruck und ließ die längere Bus-Schaukelei über relativ schlechte Straßen schnell vergessen.

2. TAG. VYSOCINA: HOCH, RUNTER. REPEAT.

In der Nähe von Nové Mesto ging sie also los, die Tour durch Tschechien! Was würde uns erwarten? Zuerst einmal eine Landschaft, die auf jede noch so kitschige Postkarte passen würde: Neben vielen grünen Wiesen, Wäldern und kleinen Dörfern punktete aber vor allem das imposante Trailnetz: Denn das, laut Aussage der Locals, dichteste gekennzeichnete Trailnetzwerk Europas bietet 48.000 km Strecken.

Natürlich gehören da auch Forstwege dazu. Doch dieses System schafft es mit seinen vierfarbig gekennzeichneten Schwierigkeitsgraden sowohl ambitionierte Racer als auch Weekend-Warriors zu beglücken. Die natürlichen Trails mit ihren technisch leichten Klettereien und Abfahrten waren ein gutes Profil für den Einstieg. Mit Absicht, denn die Tour-Organisatoren wollten damit bezwecken, dass man sich erst einmal mit seinem geliehenen Bike (in unserem Fall ein Cannondale Jekyll) vertraut macht, bevor man es gleich über den nächsten Drop schickt und in seine Einzelteile zerlegt.

3. TAG: TRUTNOV: ENDURO DELUXE

Dusan Mihalovic ist der geborene Guide. Die coole Sau aus der Nähe von Trutnov, im Norden Tschechiens, hat einige Jahre in Whistler gelebt und kennt sich bestens im Shaping und Guiding aus. Das sieht man den Trails dieser Gegend an, die er zusammen mit einem kanadischen Trailbauer auf die Beine gestellt hat. Vom Flowtrail bis zu Felsblock.Line á la BC ist für Könner und Anfänger alles dabei. Jedoch müssen sich diese Abfahrten erst verdient werden, denn einen Lift sucht man hier vergeblich. „Gut so“, dachten wir uns, denn das trifft den Enduro-Nerv genau auf den Punkt. Zuerst ließen wir aber Dusan den Vortritt. Er wollte uns schließlich zeigen, wie man das alles fährt, ohne mit dem Gesicht zu bremsen.

Eine geile Zeit war das, wenn auch ein bisschen haarig hier und da für einige des zehnköpfigen Presseteams. Unsere „null Kontrolle, aber voll Spaß“-Rennrad-Dudes aus Italien kamen hier schnell an ihre Grenzen.

Ihr Gelächter schallte nur so durch die Wälder Trutnovs bis hinein ins Tal, wo uns später in einer urigen Kneipe die gutbürgerliche, tschechische Küche erwartete. Spaß machte es also, und diesen Vibe kann die Gegend gut gebrauchen, denn Trutnov war lange eines der Sorgenkinder Tschechiens.

Es gab eine hohe Arbeitslosenquote und die vorher erwähnten Infrastruktur-Probleme waren hier nur allzu deutlich erkennbar. Teilweise sieht man leere Gebäude, die von den hoffentlich vergangenen harten Zeiten zeugen. Doch unter anderem haben die Trail Center und „Community Center“ dazu beigetragen, dass viele Menschen in der Gegend wieder Arbeit fanden.In Folge dessen haben sich kleine Geschäfte und Restaurants neu angesiedelt. Es ging also aufwärts in den letzten fünf bis acht Jahren. Auch deswegen ist hier ein sanfter Tourismus entstanden, den die Gegend gut gebrauchen kann. Viele Einheimische, die vor einigen Jahren wegen der erschwerten Bedingungen weggezogen sind, kamen wieder. Sie beteiligten sich am Weiterbau der Trails in Form von freiwilliger Arbeit. Sie sind es, die diesen Ort in der Nähe Polens wieder zu einem lebenswerten Flecken Erde machten.

4. TAG. SINGLTREK POD SMRKEM, ODER: WER BRAUCHT SCHON VOKALE?

Highlight des Tages: Flowtrails ohne Ende und selbstgemachte Minze-Limo in der Mittagspause. Lowlight des Tages: Flowtrails ohne Ende. Doch der Reihe nach: Smrk bedeutet Fichte auf Deutsch und ist der Name des gleichnamigen, majestätischen Berges dieser Region. Und ja, es beschreibt auch die Art des Waldes ganz gut. Singltrek pod smrkem ist ein Trailnetzwerk, welches, ähnlich wie in Trutnov, regionalen Unternehmen neue Möglichkeiten gab, um sich hier anzusiedeln. Wie in Trutnov hieß das Zauberwort auch hier „Trail Center“. Sogar der Global Player Trek machte mit. Der Bike-Riese stampfte die Center aus dem Boden und trug seinen Teil dazu bei, dass es wieder aufwärts ging. Heraus kamen mehrere Bike Stationen, an denen man sich High-End Trek Bikes ausleihen kann Das mehr als 80 km umfassende flowige Singletrailnetz lässt sich damit gut bewältigen.

Und dieses Netz ist so flowig und schnell, dass es einem alles abverlangt. Nicht nur konditionell, sondern trotz, oder wegen der kaum vorhandenen technischen Passagen braucht man vollste Konzentration – sonst klebt man schnell am nächsten Baum. Ein ständiges Auf und Ab, bis sogar dem drahtigen Schweden „die Wade“ die Puste ausging, ist ein Indiz für die Intensität dieses Tages. So viel Flow wie fast nirgendwo. Sehr geil! Wie in Trance fährt man dieses Gebiet ab und wundert sich irgendwann, warum der Höhenmeter-Messer fast explodiert, obwohl man ja nur „kleine“ Anstiege in den Knochen hat.

FAZIT

Was für ein Trip! Wir hatten bis auf einen heftigen fünfminütigen Regenguss nur gutes Wetter, coole Guides und waren trotz unterschiedlichster Levels eine unkomplizierte Truppe, die nach jeder Tour zufrieden einkehrte.

Das zitierte Understatement Tschechiens macht das Land sympathisch und unprätentiös. Sind die tschechischen Flowtrails, XC-Strecken und Enduro-Monster es wert, sie mal zu besuchen? Auf jeden Fall sind sie das! Und was spricht außerdem noch dafür? Gastfreundschaft vom Feinsten. Natürlich gab es sie, die Sprachbarrieren, doch wie immer kann man sich mit Englisch oder sogar mit Deutsch durchschlagen und zur Not einfach auf das Bier zeigen, das man bestellen will. Und wo genau kann man wohl ein Hopfgetränk besser genießen als in seinem Herkunftsland, wo es noch dazu absolut erschwinglich ist? Als dann: Prost oder „Pojd´me & Na zdravi“!

Mehr Infos zu den Touren in Tschechien erfahrt Ihr unter czechmtbholidays.com

Fotos: Daniel Wakeford / Czech MTB Holidays

Gepostet am 05.10.2020 von Daniel Wakeford |

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